Graue Emissionen – welche Herausforderungen sind zu bewältigen?

Clementine Tanguy
Date12 Januar 2024

Es ist allgemein bekannt, dass der Immobilien- und Bausektor einen erheblichen Anteil an den menschengemachten Treibhausgasemissionen verursacht, die den Klimawandel auf unserem Planeten beeinflussen. Aufgrund der Tatsache, dass Immobilien für 39% der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich sind, ist die Dekarbonisierung dieser Branche eine der kosteneffizientesten Möglichkeiten, um die Auswirkungen des Klimawandels zu mildern. Somit spielen Immobilien eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung der Klimakrise.

Bei Betrachtung des gesamten Lebenszyklus einer Immobilie lassen sich eindeutig Emissionseinsparungspotenziale erkennen. Bislang lag der Fokus auf den anfallenden Emissionen, die während der Betriebs- bzw- Nutzungsphase entstanden sind. Allerdings wird erst seit Kurzem berücksichtigt, dass Emissionen nicht nur in diesen Lebenszyklusabschnitten einer Immobilie anfallen. Diese Emissionen werden als “Graue Emissionen” bezeichnet. Grauen Emissionen wurde eine lange Zeit keine Aufmerksamkeit in Bezug auf deren daraus entstehenden Klimaauswirkungen einer Immobilie geschenkt, da sich die viele politische Maßnahmen und Initiativen zur Emissionsminderung auf die betrieblichen anfallenden Emissionen einer Immobilie konzentrieren. 

Warum Graue Emissionen nicht außer acht gelassen werden sollten

Immobilien- und Bausektor dar? Laut der Europäischen Kommission (2020) bezieht sich der Begriff „Graue Emissionen“ auf „die Treibhausgasemissionen, die mit der nicht-operativen Phase eines Projekts verbunden sin. Dabei handelt es sich um die Emissionen, die durch die Gewinnung, Herstellung, den Transport, die Montage, die Wartung, den Austausch, den Rückbau, die Entsorgung und die End-of-Life-Aspekte der Materialien und Systeme, aus denen eine Immobilie besteht, freigesetzt werden (cradle to grave)„. Graue Emissionen sind also im Lebenszyklus einer Immobilie allgegenwärtig.

Laut Architecture 2030 „sind Graue Emissionen weltweit für 11 % der jährlichen Treibhausgas Emissionen und rund 28 % der anfallenden Emissionen der Baubranche verantwortlich. Mit zunehmender betrieblicher Energieeffizienz werden die Auswirkungen der Grauen Emissionen in Immobilien immer bedeutender werden.” Dies deutet darauf hin, dass das Ziel, bis 2050 keine Emissionen zu verursachen, ohne Maßnahmen im Bereich der Grauen Emissionen nicht erreichbar ist. Da der Fußabdruck von Grauen Emissionen so bedeutsam ist, ist es unerlässlich, den Gebrauch dieser Daten zu beherrschen.

Graue Emissionen im Lebenszyklus einer Immobilie

Was trägt zur Reduzierung von Grauen Emissionen bei?

Die Reduzierung des CO2-Fußabdrucks im gesamten Immobilienlebenszyklus setzt sich zusammen aus dem Gleichgewicht zwischen den Grauen Emissionen und den anfallenden Emissionen währen des Betriebs. Bei den betrieblichen Emissionen handelt es sich um die Menge an CO2, die während des Betriebs oder der Nutzung einer Immobilie freigesetzt wird. Die Auswirkungen der Grauen Emissionen entstehen während des Baus und der Renovierung und können danach nicht mehr gesenkt werden. Das bedeutet, dass Graue Emissionen bis 2035 etwa 50 % der Emissionen der bebauten Umwelt ausmachen wird. Die betriebsbedingten Emissionen von Immobilien werden dagegen aufgrund des wachsenden globalen Klimabewusstseins und des aktuellen Rechtsrahmens, der die Immobilienakteure zur Reduzierung ihrer betriebsbedingten Emissionen zwingt, zurückgehen.

Dies erfordert jedoch häufig eine Renovierung und damit die Zuführung von Grauen Emissionen. Doch die städtische Bevölkerung wird bis 2060 voraussichtlich um 2,75 Milliarden Menschen wachsen. Ein Großteil des CO2-Fußabdrucks dieser neuen Gebäude wird in Form von gebundenem Kohlenstoff entstehen (schätzungsweise über 100 Gigatonnen gebundener Kohlenstoff). Um Net-Zero bis 2050 zu erreichen, müssen unbedingt Maßnahmen zur Reduzierung Grauer Emissionen ergriffen werden. 

Was besagt der Status-Quo des Rechtsrahmens?

Die Baubranche spielt eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung der Klimakrise. Die Einbeziehung Grauer Emissionen ist ein wichtiges und dringendes Thema. Die nächste Herausforderung, insbesondere für Neubauten, ist die Umsetzung einer effektiven Net-Zero-Strategie. Bisher hat sich die europäische Gesetzgebung auf die Reduzierung der CO2-Emissionen konzentriert, worunter lediglich anfallende energetische Verbräuche fallen. Auch wenn noch viel passieren muss, um die Reduktion Grauer Emissionenm voranzutreiben, ist die Thematik zu einer Priorität in der Immobilienbranche und Regierung geworden. Bislang sind die Länder mit den fortschrittlichsten Anforderungen an die anfallenden Energien diejenigen, die bereits die Ruduierung Grauer Emissionen inkludieren. Die fünf EU Länder – Dänemark, Finnland, Frankreich, die Niederlande und Schweden – haben Vorschriften für die CO2-Emissionen über den gesamten Lebenszyklus einer Immobilie eingeführt, die sowohl im Betrieb anfallende Emissionen sowie die Grauen Emissionen berücksichtigen.

Schwerpunkt RE 2020 in Frankreich

in Frankreich. Die Verordnung beinhaltet neue Anforderung an das Wirtschaftsgut Immobilie und zielt auf die Emissionsreduzierung von Baumaterialien über den gesamten Lebenszyklus ab, auch beim Abriss. Somit geht die RE2020 über die Reduzierung und Dekarbonisierung des Energieverbrauchs von Immobilien hinaus. Die Verordnung zielt auf die Förderung von nachhaltigen, CO2-armen Baumaterialien ab. Es ist ein wichtiger Schritt, um zum nationalen Ziel der Dekarbonisierung aller Branchen bis 2050 in Frankreich beizutragen.

Die RE2020 verfolgt drei Hauptziele:

  • Verringerung der CO2 Bilanz von Bestandsimmobilien: Die RE2020 zielt darauf ab, den bioklimatischen Indikator, also den Energiebedarf einer Immobilie, im Vergleich zur RT2012 um 30% zu senken.
  • Verringerung der CO2 Auswirkungen von Neubauten: Bis 2031 soll der maximale Grenzwert in kgCO2/m2 um mehr als 30 % im Vergleich zum derzeitigen Referenzwert gesenkt werden.
  • Bessere Anpassung von Immobilien an die globale Erwärmung: Einbeziehung des Kühlungsbedarfs in bioklimatische Berechnungen.

Außerdem wurden Schwellenwerte für den Bau von Appartments und Wohnungen bis 2031 festgelegt.

  • Für Appartments: 640 kgCO2eq/m2/Jahr an Grauen Emissionen im Jahr 2022 bis 415 kgCO2eq/m2/Jahr im Jahr 2031.
  • Für Wohnungen: 740 kgCO2eq/m2/Jahr an Grauen Emissionen im Jahr 2022 bis 490 kgCO2eq/m2/Jahr im Jahr 2031.

Ab Januar 2022 müssen Bauträger in Schweden Graue Emissionen neuer Immobilien berechnen. Diese Berechnungen sind erforderlich, bevor sie die endgültige Baugenehmigung von der Regierung erhalten. Gemäß dem Klimaschutzgesetz für neue Immobilien müssen diese Berechnungen die so genannten direkten verkörperten Emissionen abdecken. Dabei werden die anfängliche Produktion von Materialien und die verschiedenen Bauphasen im Lebenszyklus einer Immobilie berücksichtigt.

Unternehmen, die jetzt mit der Messung Grauer Emissionen in ihren Projekten beginnen, werden die Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter verbessern. Dies wird einen Kulturwandel in der Branche herbeiführen und der unvermeidlichen Regulierung zuvorkommen.

Reduzierung Grauer Emissionen mittels Neubau oder Renovierung?

Die globale Erwärmung, insbesondere in Europa, erfordert eine stärkere Konzentration auf die Widerstandsfähigkeit von Immobilien im Zusammenhang mit den zunehmenden Klimarisiken. Um Netto-Null-Emissionen zu erreichen, muss ein Immobilieangebot die CO2-Emissionen berücksichtigen, die nicht nur während der Nutzung einer Immobilie (betriebliche Emissionen), sondern auch während des Baus und der Herstellung der Materialien (Graue Emissionen) entstehen. Das weltweite Umweltbewusstsein drängt die Immobilienakteure dazu, ihre betrieblichen Emissionen zu reduzieren. Dieses Bewusstsein hat zur Einführung von Umweltstandards, Zertifizierungen und Labels geführt. Die Immobilie von morgen muss robust und attraktiv für alle Beteiligten sein: Mitarbeiter, Kunden, Verbraucher, Investoren und Aktionäre. Heute reicht das Angebot an Netto-Null-Assets nicht aus, um die Nachfrage zu decken. Angesichts des mit dem Bau verbundenen CO2-Fußabdrucks liegt die Lösung jedoch nicht unbedingt in der Beschleunigung des Baus dieser Art von Immobilien.

Ist ein Neubau oder eine betriebswirtschaftlich effiziente Renovierung der effektivste Weg, für die Reduzierung anfallender CO2-Emissionen? Da 80 % des Immobilienbestandes im Jahr 2050 bereits stehen, ist die Notwendigkeit, die Auswirkungen der betrieblichen Emissionen durch die Renovierung von Bestandsimmobilien zu verringern, offensichtlich. Die Nachrüstung bestehender Immobilien ist entscheidend für den Übergang zu einer CO2 neutralen Wirtschaft. Der Immobiliensektor kann jedoch nur dann renovieren, wenn er den bei diesen Sanierungsstrategien freigesetzten Grauen Emissionen berücksichtigt. Tatsächlich werden Graue Emissionen bei Renovierungen erhöht, um die viel zu hohen Betriebsemissionen zu reduzieren. Der wichtigste Leistungsindikator, der für dieses Gleichgewicht von Interesse ist, ist die Amortisationszeit oder die Break-Even-Jahre: Dies ist der Punkt, an dem die Grauen Emissionen geringer sind als die erzielten betrieblichen CO2-Einsparungen.

Eine weitere Herausforderung für Europa

Die europäische Herausforderung besteht darin, einerseits den CO2-Fußabdruck von neuen Gebäuden weiter zu reduzieren und andererseits Arbeiten mit geringen Grauen Emissionen durchzuführen, die eine starke Reduzierung der Betriebsemissionen beinhalten, um die Emissionen über den gesamten Lebenszyklus bestehender Gebäude zu verringern. 

Am 15. Dezember 2021 verabschiedete die Europäische Kommission eine umfassende Überarbeitung der Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Immobilien (EPBD) als Teil des Fit-für-55 Pakets. Die EPBD verlangt von den Mitgliedsstaaten, den Energieverbrauch von Immobilien zu senken und alle Neubauten ab 2021 (öffentliche Gebäude ab 2019) als Niedrigstenergiegebäude (NZEB) zu errichten. Die vorgeschlagenen Maßnahmen berücksichtigen insbesondere den Anstieg der Renovierungsraten, vor allem bei den am wenigsten effizienten Gebäuden in jedem Mitgliedstaat. Der Immobilienbestand wird dadurch modernisiert und und widerstandsfähiger und zugänglicher gemacht.

Ursprünglich konzentrierte sich die Neufassung der EPBD nur auf die Gesamtenergieeffizienz, mit Anforderungen, die nur die Emissionen während der Betriebsphase von Immobilien betrafen. Das Europäische Umweltbüro (EEB) und die Environmental Coalition on Standards (ECOS) setzten sich für mehr ein. Sie forderten die Einbeziehung von Lebenszyklusemissionen. In der Tat bezieht sich die vorgeschlagene Überarbeitung der Richtlinie nun auf den gesamten Lebenszyklus, was einen echten Fortschritt darstellt. Die laufenden Verhandlungen über die Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (EPBD) werden voraussichtlich im Sommer 2023 abgeschlossen. Sie bieten eine einmalige Gelegenheit, die Diskussion über die Dekarbonisierung von Gebäuden zu erweitern, alle Gebäudeemissionen einzubeziehen und einen pragmatischen Rahmen zu schaffen. Dies könnte die Art und Weise verändern, wie Grauen Emissionen auf europäischer Ebene behandelt werden.

Lesen Sie mehr: Ein Vergleich von Vorschriften, Zertifizierungen, Labels und ESG-Bewertungen in Europa

Europäische Bemühungen um eine ganzheitliche Reduzierung von Gebäudeemissionen

Die Grauen Emissionen haben in Europa einen deutlichen Aufwärtstrend erfahren, obwohl die Regulierungsbehörden in den verschiedenen europäischen Ländern nicht auf derselben Seite stehen. Erste Maßnahmen einiger Mitgliedstaaten zeigen, dass eine Lebenszykluspolitik für CO2 möglich und erwünscht ist. Ein gemeinsamer Ansatz oder ein gemeinsamer Rahmen auf EU-Ebene könnte zusätzliche Vorteile bringen und eine weit verbreitete Annahme ehrgeiziger lokaler, nationaler und regionaler Maßnahmen zur Reduzierung der Grauen Emissionen fördern. In der Zwischenzeit werden die laufenden und anstehenden Arbeiten einiger europäischer Länder in den kommenden Jahren hoffentlich zu bedeutenden Initiativen anregen. Aufgrund dieser allgemeinen Ungewissheit und in Ermangelung klarer globaler Richtlinien und Schwellenwerte gehen einige wichtige Akteure des Sektors bei den Reduktionszielen voran.

Effektive Maßnahmen zur Reduzierung von Grauen Emissionen in Immobilien erfordern solide Daten zu den aktuellen Emissionsniveaus in verschiedenen Lebenszyklusphasen, Gebäudetypen und Energieverbrauch. Hier kann Deepki helfen. Bei Deepki betrachten wir CO2 in einem systemischen Ansatz: Energieeinsparungen im Betrieb müssen die Grauen Emissionen am Ende ausgleichen.  Auch wenn das größte Potenzial für die Reduzierung des gebundenen Kohlenstoffs in den frühen Phasen des Bauprozesses liegt, können Investoren und Eigentümer dies auch bei ihren bestehenden Gebäuden berücksichtigen.

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